Les Olympiades / Wo in Paris die Sonne aufgeht
Statt
Eiffelturm oder Sacré-Cœur sehen wir hier das 13. Arrondissement,
das dem Film auch seinen Originaltitel gibt. „Les Olympiades“ ist
das eher unbekannte Paris, geprägt von Hochhäusern, die in den 70er
Jahren erbaut wurden. Nicht wirklich schön. Trotzdem leben die
Menschen gerne hier. Zumindest die Figuren aus Jacques Audiards Film:
Wie Nora, die aus der Provinz nach Paris kommt, um Jura zu studieren,
und ihr Glück hier zu sein, kaum fassen kann. Nora, gespielt von
Noémie Merlant – bekannt aus PORTRAIT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN
– ist eine von vier jungen Erwachsenen, um die dieses Drama
(angelehnt an Novellen von Adriane Tomine) kreist. Da gibt es das
Pornosternchen Sweet Amber, das – ohne es zu wissen – alle
Beziehungen durcheinanderbringen wird. Es gibt Emilie, die ihr
Studium abgebrochen hat, in einem Callcenter jobbt, in der Wohnung
ihrer Großmutter lebt und eine Mitbewohnerin sucht. Und Camille, ein
frischgebackener Gymnasiallehrer, der nicht nur Ablenkung von sich
selbst und seinen Grübeleien braucht, sondern auch ein Zimmer.
Überhaupt
sind die Beziehungen dieser jungen Erwachsenen jede für sich von
grundlegenden Missverständnissen geprägt: Camille, der – anders
als sein Name es vermuten lässt - ein Mann ist und keine Frau.
Emilie, die so cool tut, dass es ihr jeder glaubt. Nora, die mit dem
Pornostar Sweet Amber verwechselt wird, was sie in eine schwere Krise
stürzt. Zum anderen ist da ein großer Hunger auf Körperlichkeit.
Doch so großen Raum der Sex auch bildlich einnimmt - es geht um viel
mehr. Diese Figuren haben schwer am Leben zu tragen: Selbstzweifel,
Einsamkeit, Sehnsucht nach Liebe. Wir begegnen ihnen in dem Moment,
indem sie ihre Identität neu definieren. Dabei verweigern sie sich
gesellschaftlichen Zuschreibungen, normalen Berufen oder klassischen
Beziehungsstrukturen. Es sind junge Erwachsene im digitalen Zeitalter
in der Großstadt. Unfähig, sich aufeinander einzulassen, süchtig
nach Nähe. Audiards Kunst besteht darin, sie mit großer
Zärtlichkeit zu erzählen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind
bei ihm immer auch eine Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Diskurse.
Das hat fast etwas Nostalgisches und etwas sehr Schönes.